Heute ist Mittwoch, der 4. August. Nach der letzten Nachtwache habe ich tief und fest geschlafen und auch einigen Blödsinn geträumt. In der Messe erklingt Stimmengewirr und Geschirrgeklapper. Die Crew frühstückt. Die Roald schaukelt sanft durch die Wellen. Ich bin noch müde und habe keine Lust, jetzt schon aufzustehen. Also schaue ich mir noch zwei kurweilige Scrubs-Folgen aus der dritten Staffel an und lese danach noch einige Seiten in John Irvings "Letzte Nacht in Twisted River". Es ist inzwischen kurz nach neun. Ich gehe duschen, ziehe frische Klamotten an und mache mir in der Kombüse ein Nutella-Brot. Heißer, dampfender Kaffee ist auch noch da. Gegen halb zwölf ist das Mittagsessen fertig. Es gibt Nudeln mit Geflügelgulasch und einer leckeren Soße. Dann um zwölf Uhr mittags übernimmt die "eins" wieder die Seewache. Ich bin gut drauf, fühle mich gut, spüre aber auch, heute einen etwas nachdenklicheren, ruhigeren Tag zu haben.
Zum Ende meiner Wache gibt's Kaffee, Tee und Kuchen. Ich gönne mir ein warmes Blaubeer-Muffin und genieße den saftig-fruchtigen Geschmack auf meiner Zunge. Ich tausche meine Shorts gegen eine lange Hose, nehme einen Pullover, besagtes Buch von John Irving und meinen mp3-Player mit an Deck. Dort suche ich mir ein stilles, bequemes Plätzchen am vorderen Niedergang, lege mich hin, stöpsel mir Musik ins Ohr und beginne zu lesen. Meine Gedanken wandern in die Welt die Buches. Im Hintergrund höre ich wunderbare Songs der Eagles. Ich bin in einer sanften, ruhigen Stimmung, ganz im Hier und Jetzt. Über mir knattern die Segel und knarzen die Taue. Der achterlich Wind fegt kühl über Deck. Nach 10 Minuten lege ich das Buch weg und höre einfach nur noch Musik. Die Eagles; etwas besseres hätte ich mir für diesen perfekten Moment nicht aussuchen können. Hotel California (Eagles Last Farewell Tour) und The last Resort (When hell freezes over) stimmen mich heiter-nachdenklich. Was braucht's mehr, um glücklich zu sein?
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Die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag war klasse. Wir haben die Roald mit gut vier Knoten übernommen und sie während unserer Wache auf sechs Knoten beschleunigt. Das verdanke ich in erster Linie meiner hervorragenden Deckscrew, meinem nautischen Geschick (höhö) und vielleicht auch ein ganz klein wenig dem Wind. Der fegt kräftig aus westlichen Richtungen über das Wasser und treibt uns unermüdlich nach Osten. Die Wache vor uns durfte Nordlichter beobachten. Uns blieb ein im wahrsten Sinne galaktischer Himmel mit MillionenMilliarden und mehr Sternen. Das Sternennebelband der Milchstraße zog sich von Südwesten über uns hinweg nach Nordosten. Sterne wie ein Regenbogen. Gegen 23 Uhr passieren mit "Manitou Island" und schwenken leicht nach Ost-Süd-Ost Richtung Whitefish Point, dem Ziel unseres 'tall ships races'.
Donnerstag Mittag wird uns klar, das uns der inzwischen mit Stärke 6 wehende Westwind bis heute Abend über die Ziellinie treiben wird. Die Roald zeitweise acht Knoten durch die tosende See. Brecher von bis zu drei Metern Höhe haben sich aufgebaut und schieben sich von achtern unter uns hindurch. Sicherheitshalber haben wir die Toppsegel geborgen. Einigen der Crew scheint die Schaukelei nicht zu bekommen. Andere wiederum sind begeistert und sagen "Hey, segeln wie auf der Ostsee. Fühlt sich garnicht mehr wie ein See an". So geht's mir auch.
Abends überqueren wir dann gegen 22 Uhr die Ziellinie. Es ist dunkel. Ich übernehme als Steuermann mit dem Spezialauftrag, die Roald sicher auf einer vom Kapitän vorgegebenen Position vor Anker zu legen. Nachtankern dicht unter der Küste ist eine echte Herausforderung und bedarf einiger navigatorischer Vorbereitungen und nautischer Überlegungen. Wir fahren so weit wie möglich unter Segel und schmeißen dann 'Emma', unsere Maschine an. Das Echolot fest im Blick steuere ich mit Hilfe von Markierungen im Radar die Position an. "Fallen Anker!" lautet das Kommando. Polternd und rasselnd rauscht die Ankerkette aus dem Kettenkasten. Der Anker 'rastet' im Grund ein, hält und trägt uns diese Nacht. Wir liegen exakt auf der vorgegebenen Position, was mir ein fettes Lob vom Kapitän einbringt. Fix noch das Ankerbuch ausgefüllt und die Ankerwache eingeteilt und dann trinken wir ein Ankerbier. Nach der Anstrengung und dem langen Tag rauscht es wohltuend meine Kehle hinunter. Dann gehe ich auf die Koje und schlafe.
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Inzwischen ist Freitag. Wir sind ohne Maschinenunterstützung 'Anker auf' gegangen und segeln in die Goulais Bay nach Kanada. Diese wunderschöne Bucht gehört zur Whitefish Bay, die den Übergang vom Lake Superior zur Schleuse in Soo bildet. Heute Abend erwartet uns ein Captain's Dinner mit leckeren Speisen und Getränken. Morgen fahren wir dann die letzten 30 Meilen nach Soo, schleusen und legen dann bis Montag im Hafen. Sonntag verlassen uns Trainees und andere kommen hinzu. Samstag wollen wir eine 'rauschende' Grillparty als Dankeschön für die in Duluth und anderswo geleistete Arbeit Feiern. Ich plane, mich in Soo mit weiteren T-Shirts einzudecken und die zeit vielleicht auch für Sport zu nutzen. Montag gehe ich mit der Roald auf die letzte Etappe meiner Reise auf den Großen Seen. Die Route nach Green Bay in Wisconsin führt uns über den Lake Michigan.
Einige nutzen die letzten Sonnenstrahlen für ein Bad. Außerhalb des Schiffes, versteht sich. Die Stimmung ist offensichtlich gut und die Crew fühlt sich wohl.
Bild 1: Tosendes und schäumendes Süßwasser, fühlt sich wie Ostsee an, schmeckt aber besser. Der starke Norwestwind treibt uns mit bis zu acht Knoten auf die Ziellinie zu.
Bild 2: Kaum zu glauben, auf diesem Bild verstecken sich zwei Meter hohe Wellen. Sind wahrscheinlich fotoscheu.
Bild 3: Mein letzter Sonnenuntergang am Lake Superior. In drei Stunden liegen wir unweit vom Leuchtturm Whitefish Point auf 10 Meter Wassertiefe vor Anker und trinke ein Ankerbier auf den gelungenen Tag. Was braucht's mehr im Leben. Okay, mir fallen noch zwei bis drei Dinge ein ...
Bild 4: Steuermann Colin hat Spass und ist mal eben unter der Roald durchgetaucht. Tiefgang vier Meter zwanzig; Breite sieben Meter. Mach das mal nach! Kapitän Klaus guckt anerkennend zu. Nebenbei: Bin froh, das ich mit Colin gemeinsam als Steuermann fahre. Er ist ein ausgesprochen sympathischer Kerl, sehr kompetent und dabei erst 19 Jahre jung.
Bild 5: Das ist sie, 'meine' Insel Manitou. Leider habe ich sie nicht einmal im Hellen gesehen. Sie liegt direkt vor der Landspitze der Halbinsel Keewenaw (siehe Keewenaw Point). Die Tiefenangaben sind übrigens 'Füße' (feet) und müssen durch drei geteilt werden, um die Wassertiefe in Meter zu bekommen. Der Bleistift markiert ungefähr unsere Position zum zeitpunkt des Fotos. Wir laufen null-neun-null, also Ostkurs. Die gestrichelte Linie markierte die nördliche Begrenzung des Schifffahrtwegs, der von Soo nach Dultuh führt. Kurs 289 und noch 15 1/2 Meilen bis zum nächsten Kursänderungen. Prächtig ausgeschildert, diese Wasser-Autobahn.
Bild 6: Badesaison in Kanada. Wassertemperatur knapp 21 Grad Celsius. Ich spring da nicht rein. Es gilt die alte Verabredung, die ich als Seefahrer getroffen habe: Wasser nicht zu mir ins Schiff, ich nicht ins Wasser nach draußen. So einfach ist und hat bisher perfekt funktioniert.
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