Das Gepäck auf der Hinreise wog schwer. Neben Nässeschutzkleidung, reichlich Hemden und Unterwäsche, Socken, Zahnbürste, Sonnenscutzcreme und diversen Schuhen, Ersatzteile für Emma (das ist die Maschine der Roald) und drei Büchern hatte ich noch eine ganz andere Art Gepäck dabei: Vorurteile. "Amerikaner sind dick", Amerikaner wissen nichts von der Welt", "Amerikaner verschmutzen die Umwelt", "Amerikaner sind oberflächlich" und "Amerikaner sind aggressiv und führen Kriege" sind nur einige Beispiele für solche Vorurteile, die man in Deutschland öfter als nur am Stammtisch hört. Frei nach dem Hamburger Kommunikationsprofessor Schultz von Thun (Die vier Seiten einer Nachricht) klingen diese Vorurteile in meinen Ohren ein nach "Ich lebe gesund und ernähre mich Bio", "Ich bin ein politisch bewußter Mensch und nehme Anteil am Schicksal der Welt", "Ich sortiere meinen Müll und fahre ein verbrauchsarmes Auto", "Ich pflege tiefe und ernsthafte Verbindungen zu meinen Mitmenschen" und "Ich bin gegen jede Form von Krieg und lehne alles ab, was damit zu tun hat". Und so ein ganz kleines bischen, wirklich nur an ganz ganz kleines bischen, klingt da dann auch mal der moralisch erhobene Zeigefinger durch. Also typisch deutsch, könnte man sagen.
Ich war sehr gespannt, was mich in USA erwartet. 1982 war ich für vier Wochen in Telephone, Texas, habe dort meine Scharnebecker Jugendfreundin Jessica besucht und auf der Pfirsichfarm ihrer Eltern mitgearbeitet und dann noch eine Woche mit Studenten in Denton, Texas gelebt. Ich hatte also grobe Vorstellung von dem Land. Ich erwartete, dass heute, fast neun Jahre nach "nine eleven" (Terrorangriffe am 11.09.2001) die Einreise und alle möglichen Modalitäten komplizierter sind und man als 'Fremder' auch mal kritisch beäugt wird. Und in der Tat, es hat sich einiges seit 1982 verändert.
Erstens ist der Dollarkurs heute sehr viel günstiger (damals ca. drei D-Mark für einen US-Dollar; heute bekomme ich für einen Euro ca. einen Dollar und 30 Cent / früher kostete z.B. ein TShirt 10 USD, also 30 DM, heute zahle ich dafür ungefährt sieben EURO) und die Flüge sind sehr viel preiswerter geworden (1982 Amsterdam - Dallas/Fort Worth, Texas und zurück gut 2.000,- D-Mark; 2010 Hamburg - Cleveland/Ohio und zurück ca. 950,- EURO). Berücksichtigt man die Preis- und Einkommensentwicklung, war mein USA-Aufenthalt in 2010 sehr viel günstiger als vor 28 Jahren. Zweitens brauchte ich 1982 noch ein Einreisevisum vom US-Konsulat in Hamburg. Heute fühle ich mindestens 96 Stunden vor meiner Reise im Internet das ESTA-Formular aus und fertig. Drittens brauchte ich 1982, wie auch 2010, einen Reisepass für die USA. Heute allerdings mit biometrischen Daten, was 1982 technisch garnicht möglich war. Unterm Strich war die Reise heute merklich leichter und kostengünstiger zu organiseren als damals. Übrigens hat die "Immigration" (Einwanderungsbehörde) schon damals sehr genau hingeschaut, wer Einlass begehrt und unter Umständen Leute auch wieder direkt zurück geschickt. Denn die USA sind nach wie vor ein Einwanderungsland.
Es ist nicht abzustreiten, dass in den USA tendenziell eher stark bis sehr stark übergewichtige Menschen anzutreffen sind. Allerdings sind diese im öffentlichen Bild bei weitem nicht so präsent, wie uns die letzte Statstik (67 % der Amerikaner sind übergewichtig) glauben machen will. Zurück in Deutschland fällt mir auf, dass es bei uns (in Hamburg und Eckernförde) nicht viel anders aussieht. Übergewicht scheint eher ein Wohlstandsphänomen postindustrieller Gesellschaften, denn ein Kulturmerkaml zu sein. Will sagen, so groß sind die Unterschiede nicht. Übrigens bin ich in Green Bay, Wisconsin auf einen samstäglichen Markt ("Farmers Market") mit reichlich 'organic' Angeboten gestossen. Dort haben Farmer aus dem Umland ihre Produkte angeboten. Bio ist in Deutschland sicherlich ein wichtiges Qualitätsmerkmal und eine noch wichtigere Marke. Aber nicht immer vernünftig, wenn ich zum Beispiel auf den Ganzjahresimport von chinesischen Erdebeeren via Flugzeug denke. Also auch hier: Finger wieder einfahren.
Sicherlich beschäftigen sich amerikanische Medien und auch die amerikanische Öffentlichkeit nicht so intensiv mit Nachrichten und Ereignissen aus aller Welt. Dies tun sie nur dann, wenn das Ereignis in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den USA steht. Das heißt aber nicht, dass Amerikaner 'dümmer' als Deutsche oder Europäer sind. Allein die geostrategische Lage mit nur zwei Nachbarn (Kanada und Mexiko) zwischen zwei Ozeanen (Atlantik und Pazifik) ist völlig anders als z.B. in Europa. Die USA haben auch keine Kolonien unterhalten und damit für besondere Verwurzelung in Afrika, Süd-Amerika und Asien gesorgt. Es liegt also offenkundig auf der Hand, dass das eurozentristische Weltbild völlig anders ist, als der Vereinigten Staaten von Amerika. Ich habe die Amerikaner in vielen Gesprächen als sehr weltoffen und interessiert erlebt. So haben u.a. zahlreiche Menschen in der Great-Lakes-Region deutsche Urahnen oder die Männer haben als Soldat in Deutschland gedient. Die Einstellung mir als Deutschem gegenüber war immer positiv, respektvoll und anerkennend. Oder, anders ausgedrückt, die Amis mögen uns und lieben Produkte aus Germany. Nicht ein einziges Mal wurde ich z.B. auf die deutsche Geschichte (Nazis, WK II, KZ etc.) angesprochen, wohl aber gefragt, wie ich denn Kanzlerin Merkel finde und was ich von Präsident Obama halte. Also geschichtstriefende, deutsche Schwermut gepaart Globalschuld sind nicht gefragt. Ich habe mich bei zwei Gesprächen dafür bedankt, dass 1989 und 1990 das amerikanische Volk mit Präsident Bush an der Spitze entscheidenden Einfluss auf das Gelingen der deutschen und auch der europäischen Einheit genommen hat. Kein Pathos, einfach mal "Danke!" sagen.
Alles in Amerika ist irgendwie größer, voluminöser; gigantisch eben. So auch die Autos. An jeder Ecke typisch amerikanische Fahrzeuge. Dicke, sechs- bis achtzylindrige, bullige Allrad-Pickups, ebenso motorisierte Familien-Vans, Straßenkreuzer vom Typ Lincoln Towncar, rassige Sportcoupes mit 6,1-Liter-Achtzylinder unter dem knackig geformten Blech (z.B. Ford Mustang oder Dodge Challenger). Es sind aber auch genauso viele asiatische Kleinwagen und reichlich deutsche Fabrikate von VW über Audi und Porsche bis zu BMW und Mercedes unterwegs. Der Verkehr läuft generell sehr ruhig und geduldig. Ich habe nicht ein (!!) Hupkonzert gehört. Es wird nicht gerast sondern mit maximal 55 Meilen/Stunde (knapp 100 km/h) eher entspannt 'gecruist'. Ich habe keine auf aggressives Überholprestige getrimmte Frontleuchten gesehen. Sicherlich sind in den USA noch reichlich Spritfresser unterwegs. Aber ist es bei uns anders? Die Angabe der Drittel-Mix-Verbräuche in Deutschland ist, wie jeder weiß, eher eine pfiffige Marketingsstrategie, die unser Gewissen beruhigen soll, als eine echte Verbrauchsangabe. Und ob ein mit 180 bis 250 über die Autobahn getretener BMW (oder was auch immer) tatsächlich soviel umweltfreundlicher ist, als ein mit Tempo 100 fahrender Cadillac lasse ich mal dahingestellt. Auf meiner Busreise von Green Bay nach Chicago habe ich übrigens hunderte Windräder zur Stromerzeugung gesehen. Und die diesjährige "Great-Lakes-United-Tall-Ship-Cahllenge" stand unter dem Pro-Umwelt-Motto "The race to save the Lakes". Oder eine andere Frage: Verursachen amerikanische Fastfood-Restaurants wie MacDonald's mehr Müll als die deutsche Imbisskette gleichen Namens? Nö, eigentlich nicht. Die USA haben sicherlich noch reichlich Handlungsbedarf in Umweltdingen (Glück für uns, denn unser Mittelstand verdient gut daran), aber auch hier besteht kein Grund für den erhobenen Zeigefinger, denn gehen nicht auch wir (du und ich) täglich verschwenderisch mit unseren begrenzten Ressourcen um? In den USA wird z.B. für nahezu jeden Weg das Auto genommen. Kenne ich auch ...
Wenn ich von der typisch amerikanischen Freundlichkeit und Höflichkeit erzähle, höre ich oft das Argument "Aber die sind so schrecklich oberflächlich". Ich finde diese Antwort hochmütig und dumm. Amerikaner haben grundsätzlich ein deutlich positivere und optimistischere Einstellung gegenüber ihrem Mitmenschen, als ich es tagtäglich bei uns in Deutschland erlebe. Es ist sehr leicht, miteinander ins Gespräch zu kommen. Auch mit völlig fremden Menschen z.B. im Bus, in der Stadt, an der Kasse, im Cafe und, und, und ... Ein fragender Blick in aller Öffentlichkeit führt schon dazu, dass ich unmittelbar angesprochen wurde und man mich fragte "Can I help you?". Standard-Höflichkeitsformulierungen wie "You're welcome" kann ich zwar wörtlich übersetzen, finde aber in unserer Sprache kein inhaltliches Pendant. Auch die Begrüßung ("How are you doing?") verläuft häufig mit einer persönlichen Ansprache und fordert zu einer Antwort heraus (vielleicht "Fine and how are you?"). Beides mit einem Lächeln verbunden sorgt grundsätzlich schon mal für eine angenehme Atmosphäre. Will sagen, ich empfinde die zwischenmenschlichen Kontakte als persönlicher und verbindlicher, als deutlich höflicher und positiver, als ich es aus meinem Alltag außerhalb der Kaserne mit fremden Menschen gewohnt bin. Schlechtlaunige Muffelköpfe habe ich dort nicht erlebt. Besonders hat mir die Leichtigkeit im Umgang, die Lockerheit gefallen. Sehr angenehm; davon möchte ich am liebsten was mit in mein Repertoire übernehmen, wenn's denn so einfach wäre. Die Atmosphäre im Umgang miteinander hat mich während der vergangenen fünfeinhalb Wochen am meisten beeindruckt.
Ich habe mit mehreren Menschen gesprochen, die mir sagten, dass sie mit der Politik von George W. Bush und seinen Kriegen nicht einverstanden waren und sind. Auf dem Rückflug habe ich mir den Hollywood-Film "Green Zone" mit Matt Damon angesehen. Der Film thematisiert sehr eindrücklich die Irak-Lügen der US-Regierung. Also auch hier ein eher differenziertes Bild. Wie wär's denn in Deutschland mit einem starbesetztem Fim "Dead Zone" über das Bundeswehr-Feldlager in Kundus und die Jung-Lüge "Das ist kein Krieg"? Auch hilft der moralische Zeigefinger und die moralische Entrüstung nicht weiter und klingt in meinen Ohren manchmal eher nach Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit.
Summenstrich: Ich habe mich in den USA sehr wohl und, in Englisch "familiar", vertraut gefühlt. Meine Vorurteile sind überwiegend zerbröselt und ich dachte oft, ich schaue in einen Spiegel. Und ich habe mal wieder begriffen, in was für einem tollen Land ich lebe. Meine deutsche Heimat ist wunderbar, ich mag mein wohl organisiertes, sicheres Leben, ich mag unsere hervorragende medizinische Versorgung, das saubere Wasser, die lebensfrohen, mit alten Häusern geschmückten Innenstädte meiner beiden Heimatstädte Lüneburg und Eckernförde. Es hat viele Vorteile, in Deutschland zu leben. Uns geht es insgesamt sehr gut, wir leben in Sicherheit, Freiheit und Frieden und unsere Wirtschaft kommt mit mächtig Fahrt aus der Krise. Was ich nicht mag, ist unsere Gründlichkeit, wenn sie verbissen ist, unsere Ordnungsliebe, wenn sie unflexibel ist, unsere Ernsthaftigkeit, wenn sie schwermütig als Zukunftsangst daher kommt. Ich mag die Vitalität der USA, die vielen jungen Familien mit ihren zahlreichen Kindern. Ein ganz anderes Bild dagegen in Deutschland. Wir vergreisen, haben Angst um unsere Rente, schätzen die allgemeine Lage als eher schlecht und negativ ein. Also Leute, fahrt in die USA und laßt euch anstecken, inspieren und motivieren, sich weniger um den nächsten Tag zu sorgen und mehr das Hier und Jetzt zu genießen. Ich fahre auf jeden Fall wieder hin. Am liebsten mit der ROALD AMUNDSEN ohne Jetlag ganz entspannt in vier Wochen über den großen Teich. Aber jetzt und heute genieße ich erstmal die Nachklänge einer unbeschreiblichen Reise, meine Familie, meine Freunde und meine Kollegen.
Damit beende ich nun die Posts zu dieser Reise in meinem Blog. Bis zur nächsten Reise. Ich hab da schon eine Idee ...
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