Rasselnd hievt das Spill den Backbord Anker. "Außenklüver setzen! Klarmachen zum Setzen der Voruntermars!" schallt es über Obderdeck. "Anker aus dem Wasser und in der Klüse", ruft Andreas. Langsam dreht sich die Roald nur vom Wind angetrieben auf Südkurs. Wir verlassen unseren Ankerplatz in der Goulais Bay (Kanada) und laufen Richtung Sault Ste Marie (kurz Soo) in Michigan. Hinter uns liegt der Lake Superior und vor uns eine Reise auf dem 'St Marys River' zum Lake Huron und weiter zum Lake Michigan nach Green Bay, Wisconsin.
Es ist kühl heute morgen. Die kalt-klare Luft fühlt sich nach Herbst an. Später verdrängt ein warmer Südwestwind den lausigen Nordwind und in Soo tragen wir wieder Shorts und T-Shirts. Chris, seit Duluth der Lotse an Bord der ROALD AMUNDSEN, übernimmt die navigatorische Leitung und steuert uns sicher durch die links und rechts vorbei gleitende malerische Urlaubslandschaft aus türkisblauem Wasser, weißer Bugwelle, gelben Stränden und grünen Wäldern auf sanften Hügeln. Hin und wieder entdecke ich schmucke Häuser, wober mit das kanadische besser gefällt, da es auf mich harmonischer und irgendwie verträumter wirkt.
Fünf Stunden später erreichen wir die weltgrößte Schleuse in Sault Ste Marie. Und dann erleben wir etwas, das am besten mit Bildern, als mit Worten zu erzählen ist.
Sorry für die Reihenfolge der Bilder. Da hab ich, wie gesagt, von unterwegs keinen Einfluss drauf.
Bild 1: Die Schleusenkammer mit dem Namen "Poe Lock" öffnet sich und gibt die Fahrt flussabwärts frei. An den Schleusenwänden links und rechts ist gut zu sehen, wie tief wir gesunken sind. Der Höhenunterschied beträgt ungefähr acht Meter. Das Foto dokumentiert auch, warum die Rahen der Roald so merkwürdig stehen (hart angebrasst und gedumpt). Normal ragen die Rahen weit über die Schiffsseiten hinaus, was, um es kurz zu sagen, in einer Schleuse schnell zu Kleinholz führt.
Bild 2: Hier in Großaufnahme die schleusengerechte Rahstellung. Brassen nennt man die horizontale Drehung der Rahen, damit die Segel optimal zum Wind gestellt werden können. Dumpen dagegen bedeutet, dass die Rahen bei Schlagseite (Standard beim Segeln mit seitlichem, also halbem bzw raumen Wind) wieder parallel zur Wasseroberfläche bzw zum Horizont ausgerichtet werden, damit sie wieder optimal zum Wind stehen. Die Oberrahen sind nicht gedumpt, da sie zu hoch angebracht sind, um in der Schleuse Schaden zu nehmen.
Bild 3: Lotse Chris betrachtet zufrieden, wie die Roald auf die Schleuse zufährt. Er schleust normalerweise Laker, seentypische Handelsschiffe, die bis zu 300 Metern lang und mehr als 30 Meter breit sein können. Um diese sauber in die Schleuse zu manövrieren, fährt man mit dem Rumpf an den Rand der Schleuse. Dort befindet sich eine Leitplanke aus dicken Holzbohlen. An dieser Leitplanke schrammt das Schiff dann, sozusagen geführt, bis in die Schleuse hinein. Tja, und genau so hat's Chris auch mit der Roald (50 Meter lang und 7 Meter breit) gemacht. Gut einen Kilometer vor der Schleusenkammer setzt er unser schönes Schiff mit dem Stahlrumpf an die Leitplanke und schrammt uns bis in die Schleuse. Kapitän Klaus und die gesamte Besatzung reiben sich die Augen. Warum fahren wir nicht einfach so in die Schleuse? Gute Frage. Ich denke, hier kommt das Prinzip 'Das haben wir schon immer so gemacht' in verbindung mit 'Das haben wir noch nie so gemacht' zum Tragen. Eine blöde Situation, die wohl auch etwas Farbarbeiten notwendig machen wird.
Bild 4: "Ich geb das Ruder nicht mehr her", scheint uns dieses Bild zu sagen. Da der lotse 'übernommen', ist Steuermann Michi weitgehend beschäftigungslos. Und da hab ich dann einfach das Ruder übernommen. Ganz ehrlich, ich mag es sehr, auch mal einfache Bedienarbeiten auszuüben. Der dritte Steuermann Colin hat den Maschinentelegrafen übernommen und aus Langeweile zwischendurch reichlich fotografiert. Alle Schleusenbilder dieses Posts sind von ihm. Wir zwei hatten richtig Spass auf der Brücke.
Bild 5: Bootsmann und Toppsi Andreas schaut skeptisch, wie die Roald an zwerspliterndem Holz entlang über hunderte von Metern in die Schleuse schrammt. Ich denke, es tut ihm körperlich weh, wie hier der Rumpf unseres Schiffes malträtiert wird.
Bild 6: Blick zurück. Seit weit vor der Srücke schieben wir uns an der Leitplanke entlang. Das Bild zeigt aber auch, dass die Aktion völlig unnötig war, denn das Becken war reichlich breit genug für uns. Die zwei scharfen Typen sind Toppsi Daniel aus meiner Wache 1 und Trainee Kristian aus Minnesota (davor Kölle).
Bild 7: Blick nach vorn. Noch gut zwei- bis dreihundert Meter bis zu unserer Schleusenposition. Schrammel, schrammel, schrammel, ...
Bild 8: Wie gesagt, ich geb das Ruder nicht mehr her ...
Bild 9: Auch Kapitän Klaus ist skeptisch und schaut kritisch, das nichts kaputt geht.
Bild 10: America at its best - lines man bei der Arbeit. Wozu gehen, wenn man fahren kann? Dieser Kollege bestätigt mein Vorurteil, dass in USA auch für kürzeste Wege das Auto oder auch mal der E-Karren genommen wird.
Bild 11: Endlich in der Schleuse. Kaum fest, geht die Fahrt schon nach unten und die glitschig-bemooste Schleusenwand zeigt uns an, wie tief wir schon gesunken sind.
Bild 12: Blick in die Schleusenkammer - auch hier kein Platzmangel, um bequem ohne Leitplanke selbst zu manövrieren.
Bild 13: Tiefer und tiefer und tiefer ...
Bild 14: Die Hälfte ist geschafft. Die Leinen müssen gut mitgefiert werden, damit sich das Schiff nicht an die Schleusenwand hängt. Sähe, nebenbei bemerkt, auch ziemlich bescheuert aus.
Bild 15: Michi wird beim Filmen fotografiert.
Bild 16: Blick auf das kanadische Ufer des St. Marys River. Haus am Wasser, kleines (Segel-) Boot am Steg, Grill auf der Veranda, 23 Grad warmes Wasser - das wär's doch, oder?
Bild 17: Chris steuert uns nach Soo. Die rauchenden Schlote der Industriestadt sind schon deutlich voraus erkennbar. Noch ahnen wir nichts von der Leitplanke ..
"We are sinking ... what are you thinking?"
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