Ich fahre nun seit drei Jahren auf der ROALD mit, habe aber soetwas bisher nicht erlebt: 11 tall ships setzen Segel und verlassen fast gleichzeitig den Hafen. Was für ein Bild! Kurze Erläuterung zu den Fotos: Der Toppsgelschoner mit Bug links ist die PRIDE OF BALTIMORE. Der Dreimaster mit Bug rechts ist die HMS BOUNTY und ein weltbekannter Filmstar. Und das ablegende Schiff im Flaggenmeer mit Bug links ist die niederländische Bark EUROPA.
Der Wind steht günstig. Ich bin der Auslauf-Steuermann und darf uns hinaus auf die Seen bringen. Ein kurzer Blick zu Ulrich, unserem Kapitän, sagt mir alles. Der Alte will es. Er will, dass wir es wieder tun. Was? Ablegen und auslaufen unter Segeln. Also ohne jegliche Maschinen- oder Schlepperunterstützung.
Unser Lotse ist Daniel Mayers, ein freundlicher und seenerfahrener Amerikaner, der uns sicher nach Detroit bringen wird. Er sitzt auf der Brücke und staunt über die Aktionen auf der ROALD AMUNDSEN. Leinen einholen, Segel auspacken und setzen, zahlreiche Kommandos schallen übers Deck bis ins Rigg hinauf. "Klar zum setzen der Groß-Obermars! ... Spring bleibt fest! ... Hiev den Anker! ... Vortopp zwei Strich an Steuerbord anbrassen! ... Heiß Innenklüver! ... An die Backbord-Brassen, klar bei Steuerbord-Brassen!" Und langsam, ganz langsam schiebt sich die ROALD nur vom Wind angetrieben Richtung Hafenausfahrt. Die Besatzung arbeitet hart; an Oberdeck liegen unzählige Leinen. Nach einer Stunden passieren wir die Außenmole und haben jetzt freie Fahrt Richtung Detroit. Die noch fehlenden Segel fliegen hoch, die Brassen knarzen und das Ruder quietscht leise.
In 15 Minuten beginnt mein erstes 'tall ships race', also eine Regatta mit Traditionsschiffen. EUROPA und ROALD AMUNDSEN segeln in einer Klasse. EUROPA hat zwar vor uns Cleveland verlassen, muss aber eine große Schleife drehen, um die Startlinie korrekt zu überqueren. Wir liegen vorn, sind aber drei Minuten zu früh über die Linie gegangen. EUROPA dreht und folgt uns unter Vollzeug. Master and Commander. "Mr. Bush, lassen Sie die Stückpforten öffnen und die Kanonen ausrennen. Klar Schiff zum Gefecht! Veranlassen Sie das Notwendige" (Anmerk.: frei nach 'Hornblower' zitiert). Ganz großes Kino.
Um 17:00 dann das vorläufige Ende. Wir haben einen Kranken an Bord und überlegen, ihn zurück nach Cleveland zu bringen, da sein Zustand unappettitlich ist und sein Verbleiben an Bord die Nutzung der sanitären Einrichtung für uns Gesunde erheblich einschränkt. Wir halsen und gehen auf Gegenkurs. Kapitän Ulrich läßt das Schlauchboot klarmachen und bittet gleichzeitig die US Coast Guard um Unterstützung. Unter Deck beginnt die Desinfizierung der Nassräume, über Deck gespannte Stimmung, wie es weiter gehen wird. Dann eine Wunderheilung: Philipp, so heißt der Virus-Erkrankte, geht es wieder deutlich besser und er will unbedingt an Bord bleiben. Gleichzeitig sagt uns die Coast Guard ab, da sie momentan kein geeignetes Fahrzeug in Reichweite hat. Also: Kommando zurück und drehen. Der inzwischen davon gesegelten EUROPA hinterher! Um 18:30 Uhr sind wir wieder auf Kurs Detroit. Die EUROPA liegt drei Meilen vor uns in Führung. So segeln wir in die Nacht hinein.
Die Ziellinie liegt unmittelbar vor der Ansteuerung zur 'Pelee Passage'. Wir passieren sie morgens um 08:17 Uhr nach der EUROPA. Diese hat in den frühen Morgenstunden 'Gas gegeben' und ist uns Maschine davon gefahren. Wir segeln noch immer und ausschließlich. Erst nach Ende des Race bergen wir die Rahsegel, werfen 'Emma' an und laufen in die 'Pelee Passage' ein.
Wir fühlen uns als Sieger. Kapitän Ulrich nutzt das mittägliche 'all-hands', um die Crew über den Verlauf des Rennens zu informieren. Friedo hat mit seiner Familie in Hamburg telefoniert, die das Race im Internet verfolgt hat. Dort soll die ROALD AMUNDSEN schon offiziell als Siegerin gemeldet sein. Das entscheidet am Ende die Rennleitung. Wir werden sehen ...
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