Sonntag, 25. Juli 2010

Soo

"Soo" ist die einheimische Kurzform für Sault St Marie (gesprochen: Su Sän Mörie), einer kanadischen Großstadt am Übergang zum Lake Superior. Auf amerikanischer Seite liegen die wohl weltgrößten Schleusen, die Schiffe vom Lake Huron / St. Mary River über acht Meter hoch in den Lake Superior wuchten. Um die Schleuse ist auf amerikanischer Seite eine Kleinststadt mit 1000 Einwohner entstanden, die sprichwörtlich 'in the middle of nowhere' liegt. Oder, in deutschen Worten; Wenn man seinen Kindern zeigen möchte, wie es früher in der DDR (und heute in Bremerhaven bzw Wilhelmshaven) ausgesehen hat, kann man nach Soo fahren. Muss aber nicht.
 
Auslaufend Bay City ist unsere ROALD AMUNDSEN wieder in ein Race mit der holländischen EUROPA gegangen ... und wieder Zweite geworden. Okay, aber Fußballweltmeister werden sie nie, die Holländer. Vom Lake Huron fährt man viele Meilen nach Norden durch den St Mary River nach Sault St Mary. Die links und rechts bei bestem Wetter an uns vorbeigleitende Landschaft ist traumhaft schön und erinnert mich ein wenig an Schweden. Die Ufer sind gesäumt mit zahlreichen schnuckeligen Holzhäusern mit Bootsstegen. Dahinter bewaldete, sanft ansteigende Hügel. Der richtige Ort für ein Wochenendhaus? Absolut, aber nur im Sommer. Im Winter ist es bitterkalt und gefürchtete Blizzards türmen den Schnee in Stundenfrist bis zu zwei Meter hoch. Kontinentales Klima halt. So könnte es uns mal ergehen, wenn der Golfstrom ausgeht und das nordeuropäische Klima auf kontinental umschaltet.
 
Früher als geplant haben wir MIttwoch Nachmittag (21.07.) in Soo festgemacht. Ich bin dann direkt mit Friedo, Fabienne, Alina und Tobias in die Stadt (besser "Stadt") gegangen. Die Hauptstrasse zieht sich entlang der Schleuse, die durch einen Park von der Strasse abgegerenzt ist. Am Parkeingang stehen Wachen und kontrollieren, dass niemand bewaffnet den Park betritt, denn das Tragen von Waffen ist offensichtlich verboten, oder zumindest nicht erwünscht. Gut, das wir unsere Pumpguns an Bord gelassen haben ... Ansonsten finden sich reichlich Pubs, vermoderte Motels und und leicht angeschimmelte T-Shirt- und Souvenir-Läden entlang der Hauptstraße. Ich hab mich dann für ein Eis mit zwei Kugeln entschieden und die ca dreifache Menge dessen, was ich aus Eckernförde gewohnt bin, in einer Waffel bekommen. Langsam verstehe ich, warum hier soviele Nasen mit reichlich Übergewicht unterwegs sind.
 
Wir schlendern durch den Park, bewundern die gigantischen Ausmaße der Schleuse und freuen uns auf unseren Schleusgang am nächsten Tag. Im Park spielt eine gut zwanzigköpfige Combo Western- und andere Musik. Eine sehr schöne Abwechslung. Auf dem Rückweg schauen die Zwillinge noch in einen T-Shirt-Laden rein. Die Besitzerin erzählt uns gleich von ihrer familiären Bindung Richtung Jörmäni und verabschiedet uns mit "Auf Wiedersehen". - Kurz nach dem Anlegen bietet sich ein älteres Ehepaar aus Florida/Michigan an, unsere Proviantmeisterin zum nächsten Supermarkt zu fahren, um notwendige Einkäufe vorzunehmen. Die Beiden sind mit dem Motorhome unterwegs, um entlang der Great Lakes und später auf einer berühmten Straße entlang des Mississippi zu fahren. Und beim Vorbeifahren haben sie uns entdeckt und die schöne schwarz-rot-goldene Flagge. Und da die Großmutter des Mannes 1926 von Deutschland in die USA gekommen ist ... ohne Worte.
 
Auf dem Rückweg zur ROALD schlendern Tobias und ich mit schussbereiten Kameras eine Parallestraße entlang durch ein Wohngebiet. Es sieht furcvhtbar aus. Viele Häuser halb verfallen, aber bewohnt. Wenig gesplegtes, brüchiger Beton als Gehweg, aufgerissene Straßen. Alte, teils völlig verrostete Fahrzeuge stehen in den Einfahrten. Alles sieht extrem amerikanisch, aber ebend auch nach Zerfall aus. Für eine gute Perspektive gehen wir auf dem gelben Mittelstreifen der überbreiten Strasse entlang. Von achtern nähert sich wild hupend ein Pickup und hält auf uns zu. Wütend gestikuliert der Fahrer und droht uns mit seiner Faust. Kaum an uns vorbei, blickt er hektisch in den Rückspiegel und wartet auf eine Reaktion von uns. Wir gehen einfach weiter. Drogen, Alkohol? Vielleicht war der Typ einfach nur Sch.... drauf.
 
Donnerstag (22.07., heute) starten wir nach dem Mittagessen, legen ab und verlegen in die Schleuse. Die Rahen sind hart angebrasst und gedumpt, so dass sie nicht über die Bordwand hinaus an der Schleusenmauer entlang schrammen können. Mit uns schleusen zwei Ausflugsschiffe. Die Tore schließen sich und Wasser strömt rauschend in das Becken. Wir werden fahrstuhlmäßig acht Meter nach oben gehievt. Zwei Stunden nachdem wir die Schleuse verlassen haben, öffnet sich vor uns der Lake Superior. Der angekündigte Südost-Wind bleibt aus, so dass wir mit Maschinenkraft nach Westen fahren. 350 Meilen bis Duluth und sechs Tage Zeit, die Distanz zu überwinden.. Auf der Brücke kehrt langsam nach der hektischen Schleusenphase Ruhe ein. Ich unterhalte mich ein wenig mit Patrick, unserem belgischen Kapitän. Früher ist er auf den Großen Seen als Lotse unterwegs gewesen und redet nun sehr positiv über Duluth. Mir fehlt ja noch sowas wie ein Saloon, wo es Bier und dicke Steaks gibt. Ein Lächeln geht über sein Gesicht: "Da gehst Du am besten zu 'Grandmas'. Liegt direkt am Hafen." Na denn.
 
Als Schnellbootfahrer bin ich ja gewohnt, dass die Wachoffziere alle Manöver fahren und der Kommandant dahinter steht, überwacht und, wenn nötig, auch mal eingreift. So lernt man dann, die Fuhre von Anleger zu Anleger besser zu beherrschen. In der Zivilschifffahrt ist das leider ganz anders. Da fährt entweder der Lotse, wenn einer an Bord ist, oder, der ist immer an Bord, der Kapitän himself. Aber eben nicht der Steuermann. Schade, Schade, Schade. Wo ich doch so'n guten Riecher für Seemannschaft habe. Es fällt mir schwer, hinzunehmen, dass, wann immer es eng bzw interessant wird, ich als Steuermann eine Statistenrolle bekomme. Dabei juckt es mich in allen Fingern und mein Gefühl sagt mir, ...  egal. So werde ich hin und wieder cabriomäßig (wegen der offenen Brücke) zur See gefahren und kümmere mich um das Schiffstagebuch und die Seekarte. Da könnten sich die Handelsschiffer ruhig mal was von der Navy abschauen.
 
Noch zwei Anmerkungen in eigener Sache:
1- Seit Bay City fahre ich mit Friedo und anderen in der 0 bis 4 Wache; wir stehen gegen 23:30 Uhr auf, gehen dann bis 04:00 Uhr Wache und legen uns wieder hin. Die nächste Schicht beginnt um 12:00 und endet um 16:00 Uhr. Ich kenne diese Wache auch als 'Hundewache', da sie etwas gegen unsere normalen Schlafgewohnheiten läuft. Mir geht's damit so, dass ich die erste Nacht Probleme habe, genug Schlaf zu bekommen. Dann aber nicht mehr. Wie das geht? Nach dem Abendessen um 19:00 auf die Koje und vier bis viereinhalb Stunden schlafen, dann Seewache. Anschließend wieder auf die Koje (herrlich!) und pennen bis 09 oder 10 Uhr, Frühstück fällt aus. Mittagessen um 11:30 Uhr und wieder auf Schicht. Was ich hier schreibe entsteht z.B. zwischen Ablösung 16:00 und Abendessen 18:00 Uhr. Wenn man mal im Rhythmus ist, garnicht schlecht. Andere Wachen schlafen tendenziell eher weniger. Und das alles im Urlaub ...
2- hab ich grad vergessen ...
 
Bild 1: Wohnstrasse in Soo aus der Sicht von zwei Aliens, wie am Schatten deutlich zu erkennen (Tobias und Michi). Kurz darauf erfolgt die Pickup Attacke.
 
Bild 2: Bark EUROPA zieht schon zu Beginn unseres Races davon. Gut, hat auch mehr Segel als wir und nutzt gnadenlos jeden Windhauch aus. Aber, wie gesagt, Fußballweltmeister werden sie nie, unsere Freunde aus Holland.
 
Bild 3: Das kanadische Segelschiff PATHFINDER schließt von achtern auf. An Bord: Reichlich junge Menschen. Beethovens Fünfte erschallt aus den Außenlautsprechern.Man winkt uns fröhlich zu. Wir stecken derweil im Fire Fighting Drill. Dann ein Kratzen; eine Rückkopplung und es ertönt Rockmusik. Mit lautem Gejohle fliegen Wasserbomben an unser Oberdeck. Und wir haben, weil Heizer Andreas unwillig ist, kein Druck auf den Schläuchen. Tolles Fire Fighting!
 
Bild 4: Ich sach nur eins: Postkarte.
 
Bild 5: Die Kanadierin Libby (für Elizabeth) steuert gradgenau Kurs gen Soo. Sie ist in meiner Wache, 20 Jahre alt und segelt seit Jahren auf diversen Traditionsseglern.
 
Bild 6: Urlaub! Urlaub!! Urlaub!!! Kann man schönere Fotos schießen? Die wunderbare Fabienne.
 
Bild 7: In unmittelbarer Nähe unseres Liegeplatzes in Soo spielen Männer Hufeisenwerfen. Ääh, kenne ich nur aus Mickey-Maus-Heftchen. Hier gibt's das in echt.
 
Bild 8: Das ist die südliche Schleusenkammer in Sault St Marie. Noch liegt die ROALD acht Meter tiefer.
 
Bild 9: Helden bei der Arbeit. Schnellbootfahrer Friedo und Schnellbootfahrer Michi mampfen Icecream.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen