Getrappel an Deck.Leise, aber deutlich vernehmbare Kommandos dringen bis in mein Ohr. Es ist 23:00 Uhr, in einer Stunde steht die Wache 1 wieder auf Segelposten. Irgendetwas ist anders, die Routine durchbrochen. Jemand kommt in's Messelogis und holt Andreas aus der Koje. "Wir brauchen Hilfe und ich suche Leute, die noch nicht schlafen." Klingt nach segeltechnischem Großmanöver. Als ich vor vier Stunden auf die Koje war die Lage noch ruhig, der Wind eher schwach und gern mal drehend.
Mitternacht lösen Friedo, Alina, Daniel, Merret und ich die Wache 3 ab. Der Kapitän sitzzt auf der Brücke, das deck ist vom letzten Segelmanöver nicht klariert. Überall liegen Leinen herum, über die es sich trefflich stolpert. Der helle Vollmond blinzelt hinter einer Wolke hervor und erleuchtet das Oberdeck. Wird sind ca. 10 Seemeilen vor Grand Marais Lighthouse gestrandet. Es gibt einfach keinen Wind mehr. Die Segel hängen schlaff an den Rahen und Stagen. Der übergebende Steuermann gibt mir noch mit auf den Weg, dass der Wind hier ständig drehen würde, man kräftig gebrasst habe, nur um danach festzustellen, dass sich die Windrichtung schon wieder geändert hat und erneut gebrasst werden müßte. Wende, Halse, Doppel-Halse, Backbord anbrassen, Steuerbord anbrassen. Friedo und ich schauen uns vielsagend an. "Das kriegen wir hin, beobachten aber erstmal die Lage". Brüder im Geiste. Von Westen weht ein warmer, trockener Wind über das Deck und bläht die Segel. "Aha, Landwind", denke ich. Nachts kühlt sich das Festland schneller als das Wasser ab. Wenn es dann an Land kühler ist, steigt die Luft über dem Wasser auf, zieht kühlere (und trockenere) Landluft auf See, die sich dort erwärmt und ebenfalls aufsteigt. So entsteht nachts ein konstant von Land wehender Wind in Küstennähe (nur wenige Seemeilen, dann endet der Effekt). Tagsüber ist es genau andersherum. Über dem von der Sonne erwärmten Land steigt die Luft auf. es weht ein konstanter Wind von See her. Außerhalb dieser Land-Seewind-Zone sind die Windverhältnisse normal, also wie vorhergesagt. Für die letzte südlicher Wind. Und wir? Wir dümpelten genau auf der Grenzfläche beider Windzonen, die selbstverständlich nicht wie mit Lineal gezogen sind, sondern ihre Ausdehnung ständig ändern. Luft ist nunmal ein hochmobiles Gas.
Wir haben dann den Landwind genutzt und die Roald auf den Backbordbug gelegt, so dass der Wind von Steuerbord in Segel weht. Dabei sind wir gehalst, also mit dem heck durch den Wind gegangen. Nach und nach haben wir gefiert, gebrasst, Schoten vershiftet und die mittleren Stengestagsegel geborgen. Die Roald drehte sich langsam Grad für Grad auf den neuen Kurs. Man muss auch mal Geduld haben. Dann liefen wir einen südlichen Kurs, jedenfalls, bis der Wind dann wieder weg war. Abwarten, Segel beobachten und die Flagge im Topp nicht aus den Augen lassen. Dann ein Lufthauch an Oberdeck, direkt von vorn. Die Rahsegel stehen back und fahren mit knapp einem Knoten rückwärts. Oooops. Friedo und ich setzen weiter auf unsere Abwartetaktik. Dann dreht sich das Schiff, legt sich in den Wind, der nun wieder konstant aus Südost weht. Wir waren raus aus der 'Deadzone'! Jetzt noch härter angebrasst und die Stagsegel gesetzt und geschotet und ab ging die Fuhre Richtung Südsüdost. Wir klaren das deck auf, schaffen Ordnung. Die Roald zieht derweil mit vier Knoten ihre Bahn. Ich lege das Ruder Steuerbord drei, um das Anluven zu unterstützen und lasse unsere alte Lady allein den besten Kurs finden. Und so segelt sie hoch am Wind mit minimalsten Kursschwankungen (+/- 1,5 Grad) ohne Rudergänger unserem nächsten Ziel entgegen.
Ich sitze mit meiner Wache auf der Brücke und genissen unser Erfolgserlebnis. Dazu hören wir von C.S. Forester eine Hörbuch der Extraklasse: 'Fähnrich Hornblower'. Nachdem die wache 2 uns abgelöst hat, falle ich müde, aber glücklich und stolz in die Koje. Ruhe, Geduld, Augenmaß, Fingerspitzengefühl und eine gehörige Portion Glück haben uns eine unvergessliche nacht geschenkt. Ach ja, 'nebenbei' habe ich mit dem Vollmond noch ein Fotoshooting veranstaltet. Ergebnis siehe anbei. Lust eines Steuermann!
Am heutigen Dienstag sind wir dann tagsüber motort und zu den "Apostel-Inseln" gefahren. Ziel Bayfield in Wisconsin. Ein Nacht im Hafen und Mittwoch dann weiter nach Duluth. Wir ziehen wieder um 12:00 Uhr auf und ein Blick in die Seekarte sagte mir, dass wir die Leckerbissen Ansteuerung und Einlaufen Bayfield während unserer Wache erleben. Da meine Leute schnell einige Segel einpacken müssen, ein Gewittersturm zieht auf, stehe ich selbst am Ruder und freue schon auf die Herausforderung. Dann steht die erste Kuränderung an und der seit Bay City an Bord befindliche Lotse verdrängt mich vom Ruder und ändert den Kurs auf die von mir ausgekoppelten 230 Grad. Hmm, Statistenrolle. Der Kapitän schaut zu.
Ich bin früher gut 100.000 Seemeilen mit Schnellbooten der Marine unterwegs gewesen und eins, wenn auch nur kurz, als Kommandant geführt. Ich erzähl jetzt mal, wie wir in der Marine arbeiten, wenn wir uns auf das Anlegen im unbekannten Hafen unter ungünstigen meteorologischen Bedingungen vorbereiten. Erstens haben wir eine klare Kommandostruktur, bei der Kommandant das letzte Wort. Ein an Bord befindlicher Lotse berät lediglich und der kluge Kommandant hört auf seinen Lotsen. Das Boot wird vom WO (Wachoffizier) gefahren. Er ist dem Kommandanten für die nautische und seemännische Sicherheit verantwortlich. Herausfordernde Situationen werden zur Ausbildung genutzt. So lernt man, so wächst man. Schwierige Manöver, wie dass in Bayfield, sprechen wir bei der Marine vorher durch, d.h. der WO erläutert dem Kommandanten seine "idée de manoevre". Der 'Alte' sagt seine Meinung dazu und der WO berücksichtigt diese tunlichst. Dann werden die Stationsleiter Achterdeck und Vorschiff auf die Brücke gerufen und ihnen erläutert, was man vorhat, wie das Anlegemanöver ablaufen soll, welche Leinen zuerst rüber müssen und worauf es ankommt. Der gefechtsrudergänger, also der erfahrenste Rudergänger, übernimmt das Ruder. Auch die Maschinentelegraphen werden von erfahrenen Leuten bedient. Und dann geht's los. Manöveranpfiff. Anlaufkurs. Beide Außen (oder Alle) voraus Kleine. Wir fahren nicht vierkannt auf die Pier zu oder drehen langatmig hin und her, sondern laufen sauber an, denn, stimmt der Anlaufkurs nicht, mußt du später mit starken maschinen- und Ruderkommandos korrigieren. Starke Kommandos führen immer auch zu starken Wirkungen und damit zu dynamischen Tendenzen, die dann wieder aufgefangen werden müssen. Ein Teufelskreis. Ungeheuer anstrengend, materialbeanspruchend, nervenstarpazierend und stressfördernd. Gute Planung und Kommunikation vereinfachen die Sache erheblich. Sorgfältig achten wir darauf, dass sich Ruder- und Maschinenkommandos nicht gegenseitig in ihrer Wirkung aufheben. Wir 'sägen' nicht vor dem Liegeplatz hin und her, wir warten auch mal, bis sich ein Ruder- oder Maschinenkommando tatsächlich auswirkt. Der Kommandant hält sich grundsätzlich dort auf, wo er den besten Überblick über die aktuelle Situation hat. Erläuft während eines komplexen Anlegemanövers nicht über Oberdeck und kommandiert nicht von der Back aus. Ich bin auf meine Ausbildung bei Schnellbootens stolz. Wert und Nutzen dieser Ausbildung werden mir auf der Roald manchmal schmerzlich bewußt.
Am Ende sind wir dann irgendwie dran. Ich bediene den Maschinentelegrafen. Die Urlaubsstimmung ist verflogen, ich bin frustriert. Das war mein letzte Manöver auf der Brücke. Morgen beim Ablegen gehe ich wieder auf das Vorschiff und paße auf zwei Leinen auf. Da muss ich mich nicht ärgern. Frust eines Steuermanns.
Das Ende vom Lied? Mehr noch als der Ärger und Frust über die verordnete Untätigkeit, ärgert mich, dass ich mich ärgere. Vielleicht fehlte mir heute ein wenig die Gelassenheit. Am Ende gehe ich innerlich auf Distanz, kapsel mich ab mache Dinge, die mir gut tun. Wenn möglich, meditiere ich oder lese meinen John Irving weiter. Ich denke, dass ich künftig öfter als Deckshand auf der Roald mitfahren werde. Dann bleibt mir dieser Frust erspart. Ach Marine, du wirst mir fehlen!
Bild 1: Bayfield - klingt irgendwie nach Alien-Testgelände - ist ein wunderschönes, idyllisch gelegens Örtchen. Die Menschen sind freundlich und offen. Es gibt zahlreiche kleine, schnuckelige (was auch immer das heißen mag) Geschäfte und umzu Natur ohne Ende.
Bild 2: Genau da liegt Bayfield. Stündlich fährt eine Fähre nach Madeline Island hinüber. Die Wassertiefen sind übrigens in Fuss angegeben, müssen also noch durch drei geteilt werden, um die Tiefe in Metern zu haben.
Bild 3: Huch, nochmal Bayfield. Jetzt etwas näher. Ausgesprochen intelligente Bildauswahl.
Bild 4: Vollmond (!!) nachts gegen 02:00 Uhr im Lake Superior. Das rote Licht kommt von der Backbord-Positionslaterne.
Bild 5: Dito
Bild 6: Die drei Mondbilder habe ich mittels Belichtungsreihe fotografiert und dann mittels schon angesprochener Software bearbeitet. Daher der wohl etwas surreale Eindruck.
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