In den frühen Morgenstunden ertönt im Detroit River der Ruf "Hiev Anker!" Langsam wuchtet die Winsch die tonnenschwere Ankerkette Glied für Glied durch die Klüse in den Kettenkasten. Metall reibt auf Metall. Meter für Meter schiebt sich die ROALD AMUNDSEN nach vorn auf die Ankerboje zu. Die Boje ist mit einem Tampen am Anker befestigt und markiert für die Schiffahrt sichtbar dessen Position. Wer zwischen Boje und ROALD durchfährt könnte sich z. B. ein wenig den Propeller verbiegen. Ein Crewmen hängt mit einem Wasserschlauch über die Reling und spritzt den Schlamm des Detroit River von der Ankerkette. Zwei weitere Crewmen arbeiten schweißgebadet im durch tagelange Hitze aufgeheizten Kettenkasten und stauen die Ankerkette so, dass sie beim nächsten Ankermanöver frei ausläuft. Roststaub flirrt in der hitzigen Luft. Kein Lüftchen kühlt die glänzenden Gesichter. Die ROALD geht Ankerauf, die Antriebsmaschine ächzt und wuchtet die ersten Umdrehungen dieses Morgens langsam auf die Kurbelwelle. Ich liege in der Koje und bin wach. Wenn ich bei dem Lärm schlafen würde, hätte ich wohl auch ein echtes Problem, insofern ist wachliegen völlig in Ordnung.
Sanft schlängelt sich der Detroit River durch Michigan Richtung Norden. Das müde Gesicht des Lotsen hellt sich mit der ersten Tasse Kaffee auf. Die Besatzung wird geweckt, die aufziehende Seewache krabbelt aus der Koje, duscht, zieht sich an und frühstückt. Um acht Uhr ziehe ich mit meinen Frauen und Männern auf und wir übernehmen buchstäblich das Ruder. Die Maschine ist auf Betriebstemperatur und läuft mit halber Kraft voraus. Mit leisen Ruderkommandos folgen wir dem Fluss. Sechs Knoten läuft sie, abzüglich zwei Knoten Strom gegenan sind das fast acht Kilometer pro Stunde, die wir uns fortbewegen. Später am Tag passieren wir Port Huron und dampfen mit gut acht Knoten dem Treffpunkt vor Bay City im Saginaw entgegen. Noch gut 135 Seemeilen liegen vor uns auf dem sich zunehmend öffnenden Lake Huron, dem dritten großen See der Great Lakes, wenn man von Osten kommt. Okay, es sind fünf Seen, so ist der Lake Huron auch der dritte See, wenn man von Westen kommt. Der Lotse merkt noch an, dass gerade dieser See für plötzlich einfallende Gewitterstürme und raue See bekannt ist. Uuuuuuh, klingt ganz nach Kap Horn. Abends um acht stehe ich wieder auf der Brücke. Mit von der Partie Andreas der unermüdliche und stets gutgelaunte Toppsi, die schwer sächselnde Deckshand Tobi, die taffe Catrin aus Toronto, der hyperaktive Alleswerker Laurens, die charmante Fabienne (one of the twins), Trainee Spencer from Ohio und die unglaubliche Amy. Wir fahren in die Nacht hinein. Die Geräusche an Bord verebben. Noch klappert ein Backschafter mit Geschirr in der Kombüse und irgendwo im Schiff rauscht eine Dusche. Die Takelage knarrt und die Positionslaternen leuchten in die aufziehende Dunkelheit. Um kurz vor zehn Uhr entlasse ich nach einer Feedbackrunde die meisten zum Schlaf unter Deck. Wir fahren den Transit mit reduzierter Mannschaft. Später steige auch ich in die Koje, höre noch etwas Musik und geniesse noch ein wenig die gurgelnden Geräusche strömenden Wassers von der Bordwand direkt neben mir.
Morgens dann same procedure as every day: Wecken, aufstehen, mancher fröhlich und andere knurrend, waschen, rasieren, Sonnenschutzcreme in die rötliche Gesichtshaut einmassieren, frühstücken, erster Kaffee, Blick in die Seekarte, Gespräch mit Steuerfrau Birgit und schon stehen wir wieder an Deck. Inzwischen haben wir die Saginaw Bay erreicht und schippern Richtung Süden der reichlich betonnten Ansteuerung von Bay City entgegen. Im AIS (Schiffserkennungssystem) finde ich die EUROPA und die BOUNTY. Kapitän Ulrich erläutert mir an der Seekarte seine Absichten für die nächsten Stunden. Da noch gut zwei Stunden Zeit bis zur Formierung zur Einlaufparade sind, gehen wir auf gut 10 Meter Wassertiefe außerhalb des Fahrwassers, für Autofahrer: sozusagen auf einem Rastplatz, vor Anker. Jetzt geht's hinauf ins Rigg. Die Segel werden "hafenfein im Sinne von hafenfein" (Kapitänszitat) gepackt und verschnürrt. Dann folgt ein leckeres und leichtes Mittagessen. Dabei erwischt uns das Kommando "Anker lichten!" Es geht also los. Wir haben zwar noch Zeit, aber die für die Einlaufparade vorgegebene Uhrzeit war offensichtlich amerikanische Zeit, also eher ein grober Anhalt. Man ist hier halt etwas lockerer, unverkrampfter und flexibler. Gefällt mir. Leicht gedacht, denn ich war ja auch schon mit dem Essen fertig. HMS BOUNTY rauscht mit Brassfahrt an uns vorbei in das Fahrwasser und wir folgen ihr verabredungsgemäß. Mit jedem Kabel Annäherung an die noch im Dunst liegende Küste umkreisen uns mehr Freizeitboote. Menschen winken und siegrüßen uns freundlich. In diesem Moment erfüllt sich die Prophezeiung des Lotsen. Dunkle Wolken türmen sich über uns auf, der Wind dreht und nimmt zu und eine Regenfront rauscht über Deck und durch das Rigg. Ich flüchte in die Navi und sortiere Seekarten. Weichei!
Die anderen Traditionssegler (Welche? Guckst selbst nach unter http://topics.mlive.com/tag/BC%20Tall%20Ships%202010/index.html ) reihen sich ein und das Abenteuer Bay City beginnt. Normal für amerikanische Verhältnisse, aber für uns Deutsche leicht ungewohnt: Es wird Salut geschossen. Die amerikanischen Schiffe feuern reichlich aus schweren Bordgeschützen nach Backbord und Steuerbord. Pulverdampf durchzieht die nach dem abgezogenen Gewitter nun wieder klare Luft. Die Sonne brennt. Großes Kino. In mir keimen lange verschollene Schnellbootfahrergelüste auf. Jetzt die gute alte OTO mit 76mm-Freischiess beladen und dann ab dafür. Später passieren wir die PRINCESS WENONAH mit den örtlichen Honorationen an Bord. PRIDE OF BALTIMORE feuert, wir dippen die Flagge. Dieses Zeremoniell wiederholt sich noch einige Male, denn das Ufer des Saginaw ist gesäumt von Schaulustigen ... unpassendes Wort ... interessierten und begeisterten Menschen. Und so winken uns Jung und Alt, Blond und Braun zu und bereiten den tall ships einen begeisternden Empfang. Alter Schwede, das hab ich noch nie erlebt! Die ganze Region scheint vor Begeisterung und Gastfreundschaft zu beben. Man freut sich auf uns. Dabei steht die ROALD AMUNDSEN im Mittelpunkt des Interesses, denn in und um Bay City leben zahlreiche Deutsche und deutschstämmige Amerikaner.
Hagen, Steuermann Nummer zwo, lenkt das Schiff meisterlich den enger werdenden Fluß hinauf. Oder wie Ulrich immer sagt: "Ich arbeite gern mit Profis". Gefühlvoll mit leichten Ruderkorrekturen schmirgeln wir an Tonnen und Untiefen vorbei. Ich stehe mit Seekarte und Bleistift hinter ihm. Wir sind ein Spitzenteam, obwohl vorher nichts abgesprochen war. Ich kontrolliere den Kurs, hake passierte Tonnen ab und notiere die Uhrzeit und beobachte das Echolot. Verrostete, schwere Eisenbahnbrücken schwenken und geben den Weg frei. Andere Brücken nach oben auf. Hagen manövriert die ROALD filigran hindurch und endlich erreichen wir unseren Liegeplatz unmittelbar am Wenonah Park (googeln!). Andere legen am Veterans Memorial Park am gegenüber liegenden Flussufer an. Wir sind da.
Bild 1: Vorn EUROPA from Netherlands, dann HMS BOUNTY (USA) und dann nice ROALD AMUNDSEN
Bild 2: US-Ufer des St. Clair River nördlich Detroit. Noch Stunden bis wir den Lake Huron erreichen.
Bild 3: Poolparty auf der ROALD. Friedo fing damit an, an Oberdeck zu duschen. Dann war flugs ein Pool aus Kisten, Seilen und einer Folie gebaut. Der bisherige Rekord von acht Personen im Pool wurde mit neun überboten.
Bild 4: Fröhliche Menschen planschen im Pool.
Bild 5: US-kanadische Zollstation in Lake Huron (City)
Bild 6: Wir haben in Bay City festgemacht. Kapitän Ulrich hockt auf der Pier und organisiert telefonisch, wie's weitergeht für uns.
Bild 7: Hier mündet der St. Clair River in den Lake Huron. Die Brücke verbindet die USA mit Kanada. Hier: Blick auf das kanadische Ufer.
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